Besonders hervorzuheben finde ich, dass Deinen Filmen regelmäßig - und so auch diesem - echte und auch mehr oder weniger originelle "Ideen" zugrundeliegen. Da wird immer etwas erzählt (und wenn nicht, wie bei diesem experimentellen Ding in grünlicher Farbgebung, an dessen Namen ich mich jetzt nicht erinnere, dann sagst Du´s auch ausdrücklich dazu). Das war auch bei "Sichtweisen" so, und hebt Dich von der Masse ab.
Was die hier mehrfach angesprochene "vorhersehbare Pointe" angeht: Sollte das überhaupt eine Pointe sein, d. h. sollte der Zuschauer wirklich davon ausgehen, dass der Vater mit seinem Sohn spricht (oder sich zumindest nicht sicher sein)? Dass das nicht der Fall war, war jedenfalls sehr schnell klar, erstens schon, weil der Vater anfängt zu sprechen, bevor Du dazukommst, außerdem auch weil Du keinen überzeugenden Alkoholiker abgibst, und spätestens bei den Gedanken über die Ehefrau und die zwei Kinder. Falls diese Überraschung also der Plan war, hättest Du es vielleicht noch etwas geschickter in Szene setzen sollen, bzw. den Text stärker darauf abstimmen, dass es auf den Sohn ebenfalls gepasst hätte.
Wenn das aber nicht der Plan war, würde mich das auch nicht stören, denn der Film wirkt auch ohne diesen Effekt. Auch zeitlich bzw. "dramaturgisch" fand ich es gut durchdacht, d. h. nicht zu lang, nicht zu kurz, genau richtig, um diese kurze Geschichte zu erzählen.
Wenn ich noch etwas Kritik üben sollte, würde ich sagen, dass Dein Vater (aus meiner subjektiven Sicht) etwas zu vernünftig und klarsichtig wirkt - für jemanden, der sein Leben durch Alkohol heruntergewirtschaftet hat. Wenn jemand aus einem normalen Leben heraus alkoholsüchtig wird, hat das ja meistens irgendeine Ursache, die über blanken Zufall hinausgeht, irgendetwas in den Lebensumständen (Schicksalsschlag, Trauma o. ä.) oder irgendetwas im Charakter, was man ihm vielleicht auch irgendwie anmerkt. Diese Ambivalenz, dass er also einerseits seine schon entstandenen und drohenden Verluste durch den Alkohol bemerkt, ihn aber andererseits auch irgendetwas an den Alkohol bindet, hätte den Film noch überzeugender gemacht. Ob das allerdings in dieser Kürze überhaupt "rüberzubringen" gewesen wäre, weiß ich nicht... Ach ja, und das Träger-Unterhemd fand ich etwas klischeehaft.
Insgesamt aber ein großes Lob, nicht nur für die "letzte Chance", sondern auch für Deine Herangehensweise ans Filmemachen, die auch in diesem Film zum Ausdruck kommt.