Das Drehbuch
Dein erstes Filmelement ist das Drehbuch. Dort steht die Geschichte, die du erzählen willst. Bereits hier scheitern die meisten Amateurfilme daran, dass sie entweder schlicht nichts zu erzählen haben, was interessant ist, oder sie scheitern daran, dass sie eben nicht wissen, wie man etwas interessant erzählen soll. Eine grundsätzlich brauchbare Idee für eine Geschichte zu haben ist nie das Problem. Wir alle haben davon mehrere. Das Problem ist, sie richtig zu strukturieren und zu erzählen.
Am häufigsten trifft man in der Geschichten-Welt, egal ob Film oder Theater, die sogenannte „3 Akt Struktur“. Hier wird eine Geschichte in 3 Akte aufgeteilt, die alle nach ihren Regeln funktionieren und gewisse Dinge tun müssen, bevor man in den nächsten Akt kommt. 99% aller Geschichten haben folgenden Inhalt:
„Eine Hauptfigur hat einem Problem, das gelöst werden will.“
Akt 1: Die Einleitung
Der erste Akt hat schlicht die Aufgabe, den Zuschauer in die Geschichte einzuführen. Und zwar so schnell und einfach wie möglich! Deswegen macht der erste Akt vielleicht etwa 10 bis 15 % deiner Geschichte aus.
Im ersten Akt gilt es, folgende Fragen zu klären:
- Wer ist der Protagonist? (das WER)
Es wird eine Hauptfigur eingeführt. Ich muss also meinen Protagonisten dem Publikum zeigen. Wer ist das? Wie ist der so? Was macht der so?
Menschen denken in Klischees, besonders zu Beginn einer Geschichte. Hier darf ich also durchaus auf klar erkennbare Muster zurückgreifen und meist beginnt das schon in der ersten Einstellung: Zum Beispiel ein junger Mensch im Anzug, der lässigen Schrittes eine Bank betritt (Aha, ein Banker, vermutlich erfolgreich). Ein alter, bärtiger Kauz in einer Kneipe vor einem Glas Whiskey (Aha, der Typ hat einiges erlebt und leidet daran), eine scheue, brillentragende Studentin, die ganz alleine auf einer Parkbank sitzt und wehmütig in die Clique blickt, die grilliert (Aha, ein einsames Mädchen, das wenig Freunde findet) oder eine dünne Frau ohne Haare in einem Krankenhausbett, die das Bild eines Mädchens anschaut (Aha, eine Mutter mit Krebs).
Sei dir bewusst, dass wir alle schon zig Geschichten gehört haben und unser Hirn sofort beginnt, Vermutungen anzustellen, wie es weitergehen wird. Diese Vermutungen gilt es zu einem Grossteil auch zu erfüllen – denn sonst wird deine Geschichte komplett willkürlich und das Publikum wird desinteressiert. Es gilt aber auch, gewisse wenige, gezielt ausgewählte Erwartungen eben nicht zu erfüllen, damit die Geschichte spannend bleibt. Setze dich also unbedingt ernsthaft damit auseinander, was für Assoziationen deine Figur mit ihren Handlungen, ihrem Aussehen, ihren Kleidern etc auslösen wird. Denn genau damit wird dein Film arbeiten.
- Was hat mein Protagonist für ein Problem? (das WAS)
Deine Hauptfigur wird mit einem Problem konfrontiert. Darum wird es auch den Rest des Films gehen, dieses Problem zu lösen. Hier bestimmst du deine Handlung.
Mein erfolgreicher Banker von oben könnte zum Beispiel seinen Job verlieren. Mein bärtiger Whiskeytrinker wird aus seiner Wohnung geschmissen und kann seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Mein Mädchen auf der Parkbank verliebt sich in den coolsten Jungen auf dem Campus und meine Krebskranke bekommt erörtert, dass die Chemotherapie nichts mehr bringt und sie bald sterben wird. Du merkst, hier stecken endlose Möglichkeiten für Geschichten drin.
Je interessanter und aussergewöhnlicher das Problem, desto eher besteht die Chance, dass die Zuschauer sich dafür interessieren. Gleichzeitig muss es aber auch mit dem gewohnten Alltag zu tun haben. Das heisst, es muss ein Problem sein, zu dem ich als Zuschauer eine emotionale Bindung eingehen kann, mit dem ich mich irgendwie identifizieren kann und nicht irgendetwas an den Haaren herbeigezogenes. Es ist ein Irrtum anzunehmen, Zuschauer fänden Geschichten interessant, die komplett undurchschaubar sind!
Idealerweise lässt du das Problem im 1. Akt entstehen und setzt es nicht voraus. So wäre zum Beispiel meine Krebsgeschichte weniger interessant, wenn ich mit der Einstellung im Krankenhaus beginne, wo schon von Anfang an klar ist, dass sie Krebs hat. Hier wäre es spannender, mit dem glücklichen Familienalltag zu beginnen und dann kommt die Diagnose. So hat das Problem die Chance, das volle dramaturgische Potential zu entfachen. Idealerweise führst du also eine Situation A ein (vor dem Problem), dann kommt das Problem und nun befinden wir uns in Situation B (nach dem Problem). Je grösser der emotionale Unterschied zwischen A und B, desto stärker deine Dramaturgie.
- Unter welchen geografischen und zeitlichen Umständen spielt meine Geschichte (das WANN und WO)
Das wann und wo ist massiv weniger bedeutend als alles andere, das es für viele Geschichten gar nicht mal so relevant ist. Es sei denn, dein Film etabliert ein Problem, welches vorallem in einem bestimmten geografischen oder zeitlichen Kontext funktioniert oder du willst dir die Arbeit erleichtern, in dem du auf epochenbedingte Klischees zurückgreifst, die automatisch bereits Geschichen erzählen und Figuren liefern.
Akt 2: Die Geschichte
Wenn du alles oben etabliert hast, der Zuschauer also nun nach den ersten Minuten weiss, um wens geht und um was es gehen wird, kannst du deine Geschichte erzählen. Jetzt hast du den Rest deiner Drehbuchseiten Zeit, die Lösung dieses Problem so spannend wie möglich zu gestalten.
- der Aufbau
Auch hier hat dein Zuschauer sofort selber gewisse Ideen, wie er das Problem lösen würde, wenn er die Hauptfigur wäre. Sei dir bewusst, welche das sind. Lass deine Figur also so plausibel wie möglich handeln – dann wird das Problem interessanter und damit auch die Dramaturgie.
Denke auch daran, dass sich ein Zuschauer schnell an einen emotionalen Zustand gewöhnt und eine Geschichte primär dann interessant und aufregen wird, wenn die Emotionen wechseln. Gib dem Zuschauer also unterschiedliche Emotionen: mal Verzweiflung, dann Hoffnung, dann Mitleid, dann Sympathie etc.
Ein Actionfilm braucht die ruhigen Momente, ein Thriller braucht momente, in denen die Spannung aufgebrochen wird, ein Drama braucht momente, in denen auch mal gelacht werden kann.
- der Tiefpunkt
Die meisten 2. Akte arbeiten mit einem Tiefpunkt. Da wird irgendwo nach etwa 50 bis 70 % der Laufzeit deines Films das Problem scheinbar gelöst oder ist zumindest kurz davor, damit alles dann noch schlimmer kommen kann. Genau dies sorgt eben dafür, dass bei deinem Zuschauer emotional auch wirklich etwas passiert.
Oder aber, das Problem wird einfach noch schlimmer als es sonst schon war. Die Amerikaner nennen das „up the stakes“, also „den Einsatz erhöhen“.
- das Aufbäumen
Nach dem Tiefpunkt folgt dann logischerweise die Konsequenz: Die Hauptfigur holt Anlauf zu einem letzten Versuch, das meist nun noch grössere Problem zu lösen. Es geht um alles oder nichts. Alles wird stärker, grösser, schneller, die Emotionen liegen blank, wir nähern uns dem:
3. Akt - Das Finale
Und damit kommt das Ende deiner Geschichte. Hier kommt das, was kommen musste. Worauf sich der Zuschauer seit dem ersten Akt gefreut hat, wo alles zusammen kommt: Das Problem wird gelöst. Oder eben nicht.
Auch hier solltest du dir bewusst sein, dass du den 3. Akt eigentlich bereits im 1. Akt klar eingeführt hast. Sobald der Zuschauer nämlich weiss, was für ein Problem die Hauptfigur hat, weiss er auch (oder glaubt zu wissen), was im 3. Akt passieren oder eben nicht passieren wird.
Zwei Menschen verlieben sich – tja, entweder kommen sie zusammen oder nicht. Kampf Held gegen Bösewicht – Nun, entweder er gewinnt oder er verliert. Krebskranke Mutter – Sie überlebt oder überlebt eben nicht. Und so weiter.
Alles was du also an Handlungssträngen, Problem, Beziehungen und Emotionen aufgebaut hast, führt hier zusammen und findet seinen Abschluss. Aus diesem Grund sagt man auch: Obwohl der 2. Akt den weitaus grössten Teil deiner Geschichte ausmacht, sind Akt 1 und Akt 3 die wichtigsten Faktoren, ob deine Geschichte funktioniert oder nicht. Ein spannendes Problem und eine interessante Lösung dafür will das Publikum sehen. Liefere das.
Und wenn dein Problem gelöst ist, ist deine Geschichte fertig. Und zwar sofort! Kein Mensch will sehen, wie mein Banker, der natürlich einen viel besseren Job hat, diesen nun ausführt, wie mein Whiskeytrinker in seiner neuen Wohnung TV kuckt, wie die beiden frisch verlobten Studenten ihren Alltag verbringen oder was Luke Skywalker in seiner Freizeit anstellt, nachdem er die Welt gerettet hat. Problem gelöst, Credits roll, Ende!
Allgemeine Drehbuchtips
- Szenen
Unterteile deine Geschichte in klare Szenen. Szenen sind meistens an einen Ort gebunden und die Szene wechselt, wenn der Ort wechselt. So wäre mein Banker in seiner Bank Szene 1, wenn er dann in seinem Büro das Telefonat des Chefs erhält, Szene 2, Zuhause bei seiner Frau Szene 3.
Szenen folgen idealerweise ebenfalls einer Dramaturgie, verändern also irgendwas – meist emotional. Eine Szene, wo am Ende alles noch gleich ist wie am Anfang, ist uninteressant. Überlege dir also, warum gibt es diese Szene überhaupt und was kann ich dramaturgisch verändern, dass sie spannend ist? Beginnt meine Szene zum Beispiel glücklich, kann ich sie ja traurig enden lassen (Ein Ehepaar, dass sich während des Essens plötzlich streitet). Beginnt meine Szene mit Spannung, löse ich diese Spannung auf (Der Protagonist sucht etwas im dunklen Haus, am Ende findet er es) und so weiter.
Natürlich müssen Szenen auch die Handlung voranbringen und dem Zuschauer irgendwelche Informationen vermitteln. Je interessanter und abwechslungsreicher sie dies tun, desto besser.
- Exposition
Dein Zuschauer braucht Informationen um deine Geschichte zu verstehen und ihr folgen zu können. Überlege dir ganz genau, welche Infos das sind und wie man diese möglichst interessant und innerhalb der Geschichte logisch vermitteln könnte.
Die einfachste, aber auch uninteressanteste Art, ist per Dialog. Man kann Figuren alles sagen lassen: Wer sie sind, was sie tun, warum sie das tun, wie sie sich fühlen und was sie von etwas oder jemand anderem denken. Spannend ist das aber meistens nicht.
Viel besser – vorallem filmischer - ist, Personen handeln zu lassen um etwas auszudrücken.
- Dialoge
Menschen reden viel. Dennoch ist gutes Dialogschreiben eine Seltenheit und ein wirklich schwieriger Punkt. Überlege dir beim schreiben daher, wofür diese Szene eigentlich überhaupt da ist. Was willst du emotional etablieren? Und denke dann nach, wie Menschen in diesen Situationen reden.
Als Grundsatz gilt folgendes: Schreibe so wenig Sätz wie nur irgend möglich. Lass deine Figuren keine langen Gespräche führen und wenn, dann sorge dafür, dass diese von Handlungen unterbrochen/ergänzt werden. In einem dramatisierten Drehbuch hat jeder einzelne Satz eine Bedeutung. Selbst ein „Hallo“ oder ein „Tschüss“. Es gibt einen Grund, warum das gesagt werden muss. Wenn dir dieser Grund nicht klar ist, dann streich den Satz raus.
- Figuren
Lass deinen Figuren Zeit und Raum, sich zu entwickeln. Konkret heisst das, lass sie sich verändern. Also müssen auch die einzelnen Figuren einen Punkt A (Startpunkt) und einen Punkt B (Endpunkt) haben, die sich möglichst klar unterscheiden lassen. Mein erfolgreicher Banker könnte zum Beispiel total oberflächlich und gefühlskalt sein und dann merken, dass es im Leben eben doch nicht nur um Geld geht. Mein depressiver Whiskeytrinker entdeckt die Freude am Alter. Meine scheue, hässliche Studentin macht was aus sich und findet Freunde und die grosse Liebe. Meine krebskranke, überbehütende Mutter kann ihre Tochter gehen lassen und entwickelt eine neue Lebensperspektive. Der Looser entwickelt sich zum Held. Und so weiter.
Zusammenfassung:
Dies sind die Grundregeln und Tips fürs Drehbuch. Nimm also mal deine Geschichte zur Hand und überprüfe:
- Ist schnell klar, wer meine Hauptfigur ist und was sie für ein Problem hat.
- Löse ich dieses Problem auch wirklich im dritten Akt (oder versagt sie?)
- Hat sich meine Hauptfigur während der Handlung weiterentwickelt?
- Ist jeder Dialog-Satz in meinem Drehbuch wirklich notwendig und trägt etwas zur Geschichte bei?
- Führt alles, was in meinem 2. Akt passiert, auf das Finale hin?
- Kann der Zuschauer seinen Emotionen wechseln oder bringe ich die ganze Zeit nur dasselbe?
- Beginnt jede Szene emotional anders als sie aufhört?
Wenn nein, zurück an den Schreibtisch. Wenn ja, gratuliere!