Was Filme und Bilder angeht, kann man von David Lynch lernen. Was sie bedeuten, wie sie zustandekommen, was sie bewirken. Lynch, der in den 70er Jahren mit transzendentaler Meditation begann, hat mittlerweile selber Schulen für Meditation in den USA gegründet.
David Lynch, der sich bereits als Kind fürs Zeichnen und Malen begeisterte und sooft er nur konnte das Papier, dass sein beim Landwirtschaftsministeriums angestellter Vater nach Hause brachte, verbrauchte, erfährt durch den Vater eines Freundes, dass Malerei durchaus ein ordentlicher Beruf sei. Er schmeisst daraufhin die Schule, die er als "Verbrechen an jungen Leuten" empfand und "in der Lehrer Wissen oder eine positive Einstellung nicht fördern" und verschreibt sich ganz und gar der Kunst.
Mitte der 60er Jahre belegte Lynch deshalb an der Boston Museum School ein Kunststudium, das er nach nur einem Jahr jedoch wieder abbrach. Da seine Eltern ihm deshalb die finanzielle Unterstützung strichen, hält sich Lynch mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er wird bei den meisten von ihnen nach nicht langer Zeit wieder gefeuert, da er morgens einfach nicht aus dem Bett kommt. Als er in die Pennsylvania Academy Of Fine Arts aufgenommen wird, ändert sich seine Situation schlagartig. Er wird dort sofort als bedeutender Künstler angesehen und kann kommen und gehen, wann er will.
In einem von der Akademie angemieteten Hotel und der billigsten 16 mm-Kamera, die er finden konnte, realisierte Lynch seinen ersten Kurzfilm "Six Men Getting Sick". In einer Art Endlosschleife sind zu einer heulenden Sirene 6 Figuren zu sehen, die sich die Hände vors Gesicht halten und sich schliesslich übergeben. Dann werden sie aufgezählt und der Kreislauf beginnt von neuem. Lynch reichte sein filmisches Experiment als Jahresabschlussarbeit ein und belegte damit den ersten Preis an der Akademie.
David Lynch war zu der Zeit ein nonverbaler Mensch, der kaum redete und durch das Wegdösen im Sessel in traumähnliche Zustände geriet, die er in seinen Gemälden festhielt. Er stellt in seinem nächsten Kurzfilm "The Alphabet" verbale Kommunikation als so etwas wie Lärm oder das ständige Schreien eines Babys dar. Es ist so etwas wie die Entstehung eines Schattens, von dem man nicht weiss woher er kommt oder wann und ob er wieder aufhört. Wörter und Buchstaben sind eine sinnliche Erfahrung, dennoch auf statische Art und Weise vorgegeben.
Als nächstes realisierte Lynch in dem in seinem riesigen, im Ghetto von Philadelphia für 3500 Dollar gekauften mehrstöckigen Haus "The Grandmother". Die vier Hauptdarsteller sind Boy, Mother, Father und Grandmother. Im Mittelpunkt steht eine Art "Kid Dracula", der pubertär sein erstes Mal erlebt und damit Schatten in Form eines orangen Flecks auf der Matratze erzeugt. Die Macht der Erfindung schenkt ihm einen Beutel voller Samen, von dem er einen in einem Haufen voller Erde auf dem Bett einpflanzt. Es erwächst eine riesige Knolle, aus der er The Grandmother zieht. Sie ist eine Art hilfreicher Zwischengeist, weder gut noch böse, eher Träger von Eigenschaften. Sie hilft die Zeit auszufüllen, petzt aber auch, indem sie laut herumpfeift. Unterdessen zwingen Mother und Father durch ständigen Nennen eines Namens den Jungen dazu, sich selbst zu identifizieren. Die ganzen Wunder und auch der ganze Schrecken der Pubertät in malerische, poetische Bilder gefasst.
Nachdem "The Grandmother" vom neu gegründeten American Film Institute finanziert wurde und Lynch dort ein Stipendium erhielt, zog er zusammen mit Sounddesigner Alan Splet von Philadelphia nach L.A. Zwei Jahre nachden er in L.A. angekommen ist, drehte Lynch "Eraserhead" in einem vom AFI angemieteten, mehrstöckigen Gutshaus in der Doheny Road. Die nächtlichen Dreharbeiten erstrecken sich aufgrund von Lynchs penibler Arbeitsweise und auch aufgrund finanzieller Probleme über insgesamt 5 Jahre. Eraserhead funktioniert wie ein lebendig gewordenes Gemälde, etwas lebt und atmet im Bewusstsein. Ein Film, der nur erlebt werden kann und über den man hinterher nichts zu sagen weiss.
Man kann Lynchs damaligen Stil sehr gut anhand seines Einsatzes von Sprache festmachen. Es sind nicht nur die höchat individuellen und stilisierten Dialoge, die seine Figuren von sich geben. Mal ist es nur der Klang einer Stimme oder er setzt sie einfach als blosse Toneffekte ein. Laut Peggy Reavey, die bei Eraserhead mitwirkte, hat Lynch "einen Weg gefunden, sich die Wörter dienstbar zu machen. Er benutzt sie nonverbal, malt mit ihnen. Sie sind taktil und haben sinnliche Qualität." Wenn man das auf seine Bilder überträgt, hat man im Grunde den typischen Lynch-Effekt aller seiner bis zu diesem Zeitpunkt gedrehten Filme.
Für sein nächstes Projekt "The Elephant Man" nach fremden Drehbuch verschlägt es Lynch nach London, wo er von null auf hundert mit etablierten Hollywoodgrössen und grossem Budget dreht. Lynch, der alleine schon weil er frühmorgens aufstehen muss, tausend Tode stirbt, erschliesst sich sein eigenes London kurzerhand über englische Novellen aus der Zeit. Frederick Elmes, sein Kameramann aus Eraserhead, gibt diesem Film einen eher naturalistischen Look, lediglich das Anfang und das Ende sind surreal inszeniert. Der Spiegel der Selbstbetrachtung plus die Einwirkung von Realität ergeben ein Monster im Bewusstsein, hier stellvertretend durch den Elephant Man dargestellt.
David Lynch lässt sich daraufhin von dem in Hollywood üblichen Grössenwahnsinn anstecken und dreht als nächstes mit gigantischem Budget "Dune" in Mexico City. In 16 gemieteten Hallen, einem Stab von über 1000 Mitarbeitern und Dino de Laurentiis als Produzenten im Nacken ist Lynch ständig gezwungen Zugeständnisse zu machen und Kompromisse einzugehen. Man kann am besten anhand der Szene, in der Kyle MacLachlan gegen die Splattermaschinen kämpft, erkennen, was Lynch mit Dune abbilden wollte, nämlich der selbstverständliche Träumer im Angesicht der Maschinen der Realität. Herausgekommen ist erzählerisch gesehen 08/15-Kino mit exquisit komponierten Bildern, träumerischen Farben und einem starken Faible fürs Bizarre.
Als nächstes drehte und schrieb David Lynch "Blue Velvet", eine Kleinstadtsatire, die er zum Teil aus eigenen Kindheitserinnerungen rekonstruierte. Der erste Shot mit den iyllisch weissen Gartenzäunen und den knallroten Rosen impliziert gleich zu Anfang, dass sich hinter der heilen Fassade tiefe Abgründe auftun. Schwerer blauer Samt verhüllt und verschleiert im Bewusstsein, was offenkundig ist: eine Dissonanz oder Schizophrenie, bei der der Mensch zum einen nach der perfekten, märchenhaften Welt strebt, während ihn dunkle Triebe in den Wahnsinn treiben. Aus Lynchs Sicht gehen diese beiden Ebenen erst gar nicht zusammen, also bildet er sie einfach als voneinander getrennte Sinneinheiten ab.
Anfang der 90er drehte Lynch "Wild At Heart" mit Nicolas Cage und Laura Dern in den Hauptrollen. Er dringt noch tiefer in das Unterbewusste und kreiert magische Bilder, die in Cinemascope und THX eine ungeheure Wucht entfalten. Eine Odyssee durch die Abgründe der Seele und eine Hommage an die Stärke des höheren Bewusstseins und der damit einhergehenden allumfassenden Liebe - hier stellvertretend durch den Wizard Of Oz und Elvis Presley dargestellt.
Lynch ist an allen Ecken und Enden mit Hollywood aneinandergeraten, die solange alles vorbuchstabiert und erklärt haben wollen, bis von der ursprünglichen Idee nichts mehr übrig ist. Er kann seine eigenen Werke nicht interpretieren und will es auch gar nicht. Wenn etwas "stimmt", vertieft er es, wenn etwas "nicht funktioniert", verwirft er es. Nachdenken will er darüber nicht, da die Bedeutung soundso für jeden eine andere ist. Als unerschütterlicher Optimist vertraut er auf die Intuition jedes einzelnen und dass dessen Bewusstsein durch das Dargestellte inspiriert und bereichert wird und sich erweitert.
1992 filmt Lynch "Twin Peaks Fire Walk With Me", der auf der von ihm und Mark Frost erschaffenen Fernsehserie basiert, ansonsten aber ein völlig eigenständiger Kinofilm ist. Wie immer schafft der irrationale Charakter der Welt seine eigenen Gesetze, denen Lynch sich bewährt abstrakt und mit schrägem, gutgelauntem Humor nähert. Alleine schon sehenswert wegen der Clubszene, in der die Figuren laut herumschreien, um die Discolautsprecher zu übertönen und die deshalb untertitelt ist. Der Film wurde für die Goldene Palme beim Cannes Film Festival nominiert, dessen Jurypräsident Lynch zehn Jahre später wurde.
Nachdem Lynch mit der "Twin Peaks"-Fernsehserie in aller Munde war und mit "Wild At Heart" die Goldene Palme gewonnen hatte, drehte er einige Werbespots, darunter für Giorgio Armani und die Playstation 2, sowie Musikvideos, während er Ausstellungen seiner Gemälde, Fotos und Skulpturen gab.
Die Summe aller gewonnenen Eindrücke führte Lynch schliesslich zu "Lost Highway" der an die allgemeine, mediale Wahrnehmung nur andockt, um sie gleich wieder nonverbal, irrational und stark abstrakt ad absurdum zu führen. Der Prozess des von aussen nach innen gehens statt umgekehrt, ist das zentrale Motiv des Films, weswegen die Hauptfigur laut Lynch "in Finsternis und Verwirrung umherirrt". Dann wird aus der Figur plötzlich eine andere, der Zuschauer befindet sich nun in einer von der Figur geträumten Welt voller Schönheit, Gefahren und schnell vorbeiziehenden Alpträumen. Die Verwandlung in die alte Figur zum Schluss ist eine intellektuelle Geste in die Richtung, dass einem alles nichts nützt, wenn man nicht weiss wer man ist.
Wenn Lost Highway sowas wie ein Take auf die äussere Welt gewesen ist, geht es in dem 2001 gedrehten "Mulholland Drive" um die innere Welt. Die allumfassende Grundlage für die Geschichte von zwei Frauen in Hollywood ist die Kindheit, also zum Beispiel der beste Freund, das Auftauchen und Verschwinden von Alpträumen, wie z.B. Coco, die Aufpasserin, das heimliche Austüfteln von verbotenen Sachen wie der Anruf bei der Polizei oder der plötzliche Sprung ins Erwachsensein in Form eines Castinggesprächs. Wie stark all diese im voraus angelegten Träume uns in unseren Handlungen beeinflussen lässt sich an der oft zur dritten Person werdenden Kamera ablesen, von der man in besonderen Momenten den Eindruck bekommt, dass sie einem eine Art schwebendes Gefühl vermittelt.
Von den neuen Einsichten beflügelt stellte sich Lynch mit "Inland Empire" dem ultimativen Dämon des 21. Jahrhunderts, nämlich digitaler Wahrnehmung. Vorbei ist es mit den erlesenen Farben und den schwelgerischen Kompositionen des erstmalig mit Digitalkameras gedrehten dreistündigen Films. Lose im Verlauf einiger Jahre gedreht, dockt der Film an einer gewissen, alptraumhaften Wahrnehmung der Realität an, die die Grundlage für zahlreiche surreale Abenteuer innerhalb des Bewusstseins bildet. Dass das funktioniert liegt vor allem an der phänomenal aufspielenden, in unterschiedlichen Rollen agierenden Laura Dern, die Lynch so gross wie das Universum selbst inszeniert.
Für Lynch hat Filmemacherei vor allem etwas mit "Ideen" zu tun. Man wirft seine Angel an einem See aus und fischt nach ihnen. Manchmal beisst etwas Grosses an und man vertieft sich in sie, lernt ihre Gesetze zu verstehen und bildet sie schliesslich ab. Ungeachtet aller äusseren Einflüsse ist es wichtig der Idee treu zu bleiben, und wenn sie erst einmal alle am Filmset verstanden haben, geht irgendwann alles von selbst.