Von den Einstellungen her fand ich den Kurzfilm ansehnlich, und sehr wohl proportioniert. Das Spiel war schon authentisch. Die Farbbearbeitung war mir zu dynamisch. Die Szene funktioniert für mich anfangs, weil sie in eine plötzliche Spannung hineinwirft, aber enttäuscht mich, da der zu bewältigende Konflikt nicht nachträglich begründet wird. Dadurch fehlt mir die nötige Empathie, denn ich weiß gar nicht, auf welcher Grundlage sie ihre Entscheidung treffen soll. Es scheint mir fast egal, was sie tut.
Ihre moralische Frage bleibt mir fremd. Soll ich ihn oder mich umbringen? Darüber, dass ich auch nichts über den Mann weiß, kann ich auch kein Mitgefühl für ihn oder Hass auf ihn aufbauen.
Der anfangs gespannte Bogen wird nicht gelöst, seine Sehne leiert aus.
Der Kritik würde ich mich anschließen.
Prinzipiell ist bei dem Film alles richtig gemacht worden: Gute Bilder, gute Schauspieler, Ton okay, Handlung nicht uninteressant. Wenn das als Film eines Filmstudenten zum Semesterende abegegeben würde, dann würd ich die Note 1 geben, weil er seinen Stoff in technischer, handwerklicher und allegmein dramaturgischer Hinsicht gelernt hat.
Trotz der allegmeinen Begeisterung erlaube ich mir dennoch einige kritische Anmerkungen zu machen.
Auch mich stört, daß man gar nichts über die Hintergründe erfährt. Nehme an, daß es das heute so beliebte Thema "Tochter ist als Kind vom Vater sexuell mißbraucht worden" geht. Diese Zerrissenheit bringen die Mädels übrigens sehr gut herüber.
Aber es wird der gleiche Fehler gemacht, den ich bis jetzt in weit über 90 % aller Kurzfilme, die ich gesehen habe (allerdings kenne ich wirklich bei weitem nicht alle), gemacht wird: Es wird zu wenige gesprochen. Immer und immer wieder erlebe ich, daß in einem Kurzfilm, wo es wichtig wäre ganz schnell viele Informationen herüberzubringen, entweder gar nicht gesprochen wird oder wenn dann nur wenige Sätze, ja oft nicht mal die nötigsten. Was habt ihr jungen deutschen Regisseure bloß gegen Dialoge?
Wenn ich einen 6 Minuten Film drehen würde, dann würd ich sehr viel erklärende Sätze und Dialoge, schnell gesprochen und mit viel Info bringen.
Das Ergebnis der wortarmen Angelgenheiten ist in den meisten Fällen, daß sich die Kurzfilme wie ein Kaugummi hinziehen. Ein 4 Minuten Kurzfilm aus Deutschland wirkt manchmal länger und langatmiger als ein flottes US-B-Picture aus den 80er Jahren mit 90 Minuten. Der hier vorliegende Kurzfilm ist noch überdurchschnittlich gut. Extrem langweilig jedenfalls nicht. Aber trotzdem zieht er sich durch das verhältnismäßig lange Treten auf der Stelle in der Handlung etwas hin. Was passiert denn eigentlich, was die Handlung voranbringt? Was erfährt man denn in der Mitte des Films Neues?
Mehr Hintergrund Info wäre gut gewesen.
Und auch: Warum tritt sie ihre ENtscheidung so, wie sie sie trifft?
Technisch stört mich das leichte (aber sicher
beabsichtigte) Wackeln / Rütteln der Kamera. Das ist eine Masche, die in en letzten 15 Jahren dauernd gemacht wird. Ist in diesem Fall nicht besonders schlimm, aber besser ist für mich immer eine richtig schön "steife" starre Kamera.
Das Kreisen hingegen wirkt wieder ausgesprochen gut.
Fazit:
Klasse gemacht, großes Lob.
Aber definitiv Verbesserungsvorschläge.