Achtung, kleine Spoiler voraus!
Person of Interest läuft doch immer gleich ab: Das Team bekommt eine Nummer, John observiert, wird in einen Kampf verwickelt und lässt Lionel hinterher Leichen und Dreck aufräumen. Wenn ein Protagonist mal in der Tinte steckt, gibt es garantiert jemanden, der ihn irgendwie rausboxt. Die hohe Kunst dabei ist, es nicht zu langweilig zu machen, indem man die Story variiert. Zum Beispiel durch einen Rollentausch. Oder durch neue Charaktere, was die episoden- und staffelübergreifende Handlung auch komplexer macht - jeder Charakter hat eigene Interessen, die er oder sie durchsetzen will.
Die Grundidee ist eigentlich recht simpel, alle werden überwacht. Das gibt's schon seit fast 100 Jahren: Jewgeni Samjatin schrieb 1924 "Wir", die Vorlage George Orwells für "1984"). Person of Interest ist Science Fiction, die heute aktueller ist als sich die Macher das vor dem NSA-Skandal wohl selbst dachten. Oder, wie Billy Idol sagte: "The future has imploded into the present". Vielleicht entstammt die zündende Idee ja dem Gedanken "Wie würde eine totale Überwachung heute aussehen? Warum wird sie eingesetzt und wozu führt das?" Im Gegensatz zu "Wir" oder "1984" ist es aber keine Dystopie gegen einen totalitären Staat. Es geht nicht um politische Ideologien in einer Welt, in der nach dem Zerfall des größten totalitären Systems "das Ende der Geschichte" erreicht wurde (Fukuyama, 1992 - auch wenn ich seine Meinung nicht teile, beherrscht dieses Denken heute die Welt). Science Fiction ist immer ein Weiterdenken aktueller Trends auf politischer und technischer Ebene. Person of Interest ist ein Schmelztiegel aller Erfahrungen, die ein Mensch in der westlichen Welt in den letzten 20 Jahren gemacht hat. Das wahrscheinlich wichtigste singuläre Ereignis in dieser Zeit war der Elfte September, und daher ist es auch Dreh- und Angelpunkt der Story in Person of Interest, die Initialzündung, die Finch zum Bau der Maschine veranlasste. Es kulminiert auch zwei gegensätzliche Grundhaltungen: Einerseits wollen wir in Sicherheit leben, andererseits brauchen wir unsere Freiheit. Zwischen Sicherheit und Freiheit liegt ein schmaler Grat. Wie gehen wir also in einer computerisierten Welt mit unseren Daten um? Sind sie bei den Organen, die für unsere Sicherheit sorgen und unsere Freiheiten garantieren sollen, gut aufgehoben oder nicht? Bei Person of Interest stehen sich so zwei Parteien gegenüber: Die Regierung, vertreten durch das FBI, und Vigilance.
Der Rest der Story ist reines Handwerk. Spannungsbögen, Charakterentwicklung, Verflechtung einzelner Episoden und Handlungen. Das kann man lernen; es gibt hunderte von Büchern dazu. Was weniger gut zu lernen ist, ist die Kunst, seine Ideen zu Ende zu denken, mit den Möglichkeiten zu spielen, neue Wege zu beschreiten. Ein sehr gutes Allgemeinwissen ist dafür ebenso unabdingbar wie die Bereitschaft, immer dazuzulernen, sich mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen.
Um Dramaturgie zu lernen, gibt es nichts besseres, als viel zu lesen und zu schauen. Egal ob es eine Fernsehserie ist, eine Graphic Novel oder ein Roman: In allen Medien ist Storytelling das A und O, es ist wichtiger als jedes andere Element. (Computerspiele lasse ich mal außen vor, weil sich dort das Prinzip des Storytelling noch nicht überall durchgesetzt hat bzw. nicht in allen Spielen mit dem Konzept vereinbart werden kann. Sie können aber ebenfalls gute Impulsgeber sein.) Der bombastischste Film mag gut aussehen, aber wenn er unlogisch und langweilig ist, ist er die Zeit, ihn zu sehen, kaum wert. Ideen mögen cool und genial wirken, aber so manche Serie hat sich schon darin verzettelt und wurde nicht weitergeführt, weil sie mit der bestehenden Auswahl an Settings, Themen und Charakteren keine neuen Möglichkeiten mehr bietet. Die Kunst ist eben auch, zu wissen, wann Schluss ist.
Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von »jk86« (11. November 2015, 04:22)