Ich habe
hier bei Euch schon einiges über die Sturdycam geschrieben, welche ich besitze (und bin daher durchaus voreingenommen
). In was folgt möchte ich noch näher auf die
Technik der unterschiedlichen Schwebelösungen eingehen. Hoffe, dies ist einigermassen informativ. Bin kein Experte, würde mich daher über Berichtigungen und Kommentare freuen:
1. Die
Stabsysteme, welche auf dem ursprünglichen Konzept von Garrett Brown (der danach auch noch die meisten anderen Variationen erfunden hat) basieren, haben vor allem zum Nachteil, dass die horizontale Halterung des Griffs das Handgelenk relativ schwerer belastet (horizontaler Griff und/oder Traglast "off-axis") . Sind also, ausser bei ultraleichten Kameras, kaum ohne Weste zu gebrauchen. Daher sind die meisten Varianten für "Prosumer" dem Bogendesign mit vertikalem Griff nachvollzogen. Ich selbst habe kein "Stabsystem" getestet, diese Info ist also nicht aus erster Hand. Modelle: Tantillo, Glidecam, usw.
2. Ein
Stativ zum Schwebestativ umzufunktionieren geht tatsächlich, hat aber natürlich nicht das wichtige "Herz" eines "echten" Schwebesystems, nämlich das (mehr oder weniger erfolgreich) ausgeklügelte Universalgelenk, welches im Endeffekt die Gesamtleistung des Geräts bestimmt (der Rest ist Übung). Aber man kann damit schon kurzfristig interessante Aufnahmen machen, z.B. aus der "Hundeperspektive" -- was mit einem Merlinartigen Schwebestativ prinzipiell nicht geht.
3. Für Bastler mit eigener Fräsmaschine sollte die Herstellung eines Schwebestativs nicht allzu kompliziert sein, unzählige How-tos gibt's ja mittlerweile auf Youtube. Die grösste Herausforderung beim
Eigenbau ist die kardanische Aufhängung. Oder man kann sich einen
Merlin Ersatzteilgriff (mitsamt Kardangelenk) anschaffen und den "Schlitten" mit Teilen von Obi herstellen. Dabei spart man immerhin die unverschämten 600€ für den Bogen von Tiffen.
Für anspruchsvolle DSLR Anwendungen ohne Weste kommt eigentlich nur die "Bogenvariante" in Frage. Falls man sich nicht auf Option 3 einlassen will oder kann, stehen da, wie wir wissen, eine ganze Reihe von Angeboten in unterschiedlichen Preisklassen zur Verfügung. Die deutschen Designs kenne ich leider nicht aus eigener Erfahrung. Falls man -- wie -- nicht die Möglichkeit hat, alle oder zumindest mehrere Modelle im Vergleich zu testen, achte man vor allem wie schon gesagt auf die Aufhängungsvorrichtung.
4. "Echte"
Gimbalvariante: Fans des Merlins (und das ist natürlich ein Topmodell für Amateurfilmemacher, kein Zweifel) bestehen auf das hauseigene Kardangelenk ("Gimbal"), weil das fast reibungslos die Hand mit dem Schlitten verbindet. Nachteil ist aber ganz klar die Windanfälligkeit, sowie die benötigte Übung. Die Calicocam aus Italien ist in diesem Sinne ein preiswerter Merlin Clone, leider konnte ich wenig Info und Videobeispiele finden, sonst hätte ich wahrscheinlich ursprünglich dieses Teil bestellt.
5.
Kugelgelenk: sollte man im Prinzip vergessen, die Reibungsfläche ist zu gross. Vielleicht hat jemand das gelöst, kann ich nicht beurteilen, aber "sight unseen" würde ich mir so was nicht bestellen. Das SturdyDSLR (wahrscheinlich) und "Schwebi" haben Kugelgelenke, jedoch haben einige hier gute Resultate mit dem Schwebi berichtet, also bin ich gern eines Besseren belehrt. Ich selbst habe die Sturdycam (s.u.) und bin damit sehr zufrieden;
falls jemand in Berlin mit dem Schwebi (oder auch irgendeinem anderen System -- Glidecam, Merlin, Ares ....) arbeitet, würde ich sehr gern einen neutralen Vergleichstest machen und ggf. auf Youtube veröffentlichen, denn so was fehlt noch und könnte vielen von uns helfen -- denke ich -- bitte melden!
6. Überhaupt kein Gelenk:
Steadystick , Flexidrive, Fig Rig ... hat definitiv seine Anwendungen, wobei ich das Fig Rig System (im Eigenbau -- der Preis von Manfrotto ist unverschämt) kenne und empfehle, der Qualitätsunterschied von Handheld-Aufnahmen ist enorm, ist aber eben was anderes, sowohl von der Bedienungstechnik als auch der Filmästhetik her, diskutiere ich gern woanders.
6.
andere Aufhängungen: Zu guter letzt gibt es ein paar Geräte, welche aus unterschiedlichen Gründen andere Lösungen anstreben. Darunter die Sturdycam aus Italien und wahrscheinlich auch (kann keine schlüssige Info darüber finden) der Wondlan "Ares" aus China. Wondlan Produkte sind erstklassig gebaut, ich selbst habe deren Follow Fokus. Das "Ares" Schwebestativ ist echt sexy, wenn man vom lachhaften Patent am Griff absieht, was ja leider die Hauptsache ist.
Die Sturdycam macht die vertikale Achse ("Pan") rigider, indem sie ein einfaches U-Gelenk verwendet (siehe auch
hier bei 0:53, in meiner eigenen "mod"-Version mit 35mm Adapter, die ich z.Z. teste) und variable Reibungsfläche durch Nutzung unterschiedlicher Auflageflächen anbietet. Angeblicher Nachteil: höhere Reibungsübertragung als eine echte Kardanaufhängung. In der Praxis jedoch hocheffektiv. Auch die eigenwilligen "Seitenflügel" und ein Schaumstoff"stülpsel", das man um das Gelenk herum anbringen kann, vermindern ungewollte Drehung. Oder man arbeitet nur mit dem Kugellager und hat fast keine Reibung, nur gerade genug, um mit einer Hand arbeiten zu können, wenn man will (Standardmethode sowohl bei der Sturdycam als auch beim Merlin ist, mit den Fingern das Oberteil des Gelenks feinfühlig zu steuern, ohne dabei die Kamera "festzuhalten").
Die Sturdycam und der/die/das (?) Ares haben ausserdem Dämpfungsmechanismen im Griff eingebaut, Luftdruck (?) beim Ares, Schaumgummipolsterung bei der Sturdycam. Ob dies tatsächlich einen grossen Unterschied macht, konnte ich bisher noch nicht im Vergleich testen, aber ich kann es mir schon vorstellen, dass z.B. beim Laufen oder Fahren kleine Ruckel gedämpft werden. Wobei die einfachere Lösung bei der Sturdycam geräuschlos ist, während die Stoßdämpfung beim Ares anscheinend (nicht selbst getestet) etwas quietscht.
7. zum
Westenarm: bei schwereren Kameras ist dieser natürlich empfehlenswert, kostet aber sehr viel mehr als das Schwebestativ an sich. Simuliert einzig und allein einen kräftigen Arm, der beim Tragen hilft. Muss daher alle Vorteile eines "echten" Arms haben, da ein Großteil der Federung vom Ellbogen vollzogen wird. Dann ist man in der 2000€+ Liga. Sturdyshots entwickelt zur Zeit einen Arm für unter 1000€, bin gespannt, ob das was wird. Wenn ja, bestelle ich den ersten!
8. zur
Belastung bei Handheld: Ich bin überhaupt nicht durchtrainiert, ein totaler Sportmuffel. Habe nun meinen ersten Shoot mit der Sturdycam hinter mir (
Beispielvideo ). 3 Stunden ununterbrochen konnte ich gut aushalten (wobei die Sturdycam mein Zittern, das nach etwa 2 1/2 Stunden auftrat, recht schön behoben hat -- könnte aber auch lediglich Unterzuckerung gewesen sein), mit Canon EOS 550D und Zenitar Fisheye bzw. Canon 28mm Weitwinkel (800-950g Kamera+Objektiv). Vernünftige Methode wäre natürlich gewesen, öfters Pause zu machen, aber da es sich um eine Dokumentation handelte, ging das diesmal nicht).
Vielleicht ist diese Info, welche ich teils zusammengesammelt und teils aus eigener Erfahrung berichten kann, ja für zukünftige Anschaffungen interessant.