Wie ja der Eine oder die Andere weiß, nehme ich mir ja auch hin und wieder mal Drehbücher von euch vor und gebe da meinen Senf dazu. Bevor es irgendwelche Fragen oder Unklarheiten zu meiner Qualifikation gibt - ich betrachte das Ganze aus der Sicht des Kameramannes. Als solcher lese ich viele Drehbücher und als solcher arbeite ich dann natürlich sowohl auf visueller, als auch auf inhaltlicher Ebene mit den Regisseuren (oft auch mit den Autoren, weil ich sehr oft mit Autorenfilmen zu tun habe) zusammen.
Ich habe mir das Buch hier durchgelesen und ich bin grundlegend erstmal der Meinung, dass da rein von der Story - natürlich - Potenzial drin steckt, wobei man - ebenfalls natürlich - sagen muss, dass das Thema das Rad nicht neu erfindet, aber welche Story tut das schon. Ich bin aber auch der Meinung, dass das Buch - sollte eine Verfilmung das Ziel sein - auf jeden Fall noch einiger inhaltlicher und dramaturgischer Überarbeitung bedarf. Es gibt da drei Punkte, die ich besonders hervorheben möchte: Dialoge, Auslassungen / Spannungsaufbau, Authentizität.
@Dialoge:
Das Problem beim Dialogschreiben ist, dass man gesprochene Sprache schreiben muss und dass das ein bisschen was anderes ist, als geschriebene Sprache.
Hier mal ein wahlloses Beispiel aus dem Drehbuch:
BASTIAN FISCHER
(beschwörend)
Heike, er hat das tatsächlich
gesagt! Er sagte, dass er Dich mit
Vera betrügen würde.
HEIKE KÖNIG
Gut. Nehmen wir zu Deinen Gunsten
an, dass er das gesagt hatte. dann
doch nur, um bei seinen Kumpeln
Eindruck zu schinden.
(Pause)
Jungen brauchen es manchmal für's
eigene Ego, als toller Hecht
darzustehen.
BASTIAN FISCHER
Ich war dabei. Für mich klang es
nicht nach Aufschneiderei.
HEIKE KÖNIG
Ich vertraue ihm.
Das Ganze wirkt teilweise sehr geschrieben, sehr sperrig, schlecht spielbar. Am einfachsten findet man das heraus, indem man die Texte laut vorliest.
Mal ein Gegenvorschlag, wie man das schreiben könnte:
BASTIAN FISCHER
(beschwörend)
Heike, er hat das wirklich
gesagt! Er hat gesagt, dass er dich mit Vera betrügt!
HEIKE KÖNIG
(gereizt)
Na schön. Und selbst wenn! Dann hat er eben bei seinen Kumpels einen auf dicke Hose gemacht.
Vielleicht braucht er das für sein Ego!
BASTIAN FISCHER
Ich war dabei. Das klang für mich nicht nach 'nem Egotrip.
HEIKE KÖNIG
(leise)
Ich vertraue ihm, Basti...
Für mich ist das viel stimmiger, viel mehr in einer Situation, viel mehr in einer Stimmung. Die Schauspieler wissen viel mehr, wie sie den Dialog emotional bewerten und somit spielen müssen.
Es gibt beim Dialogschreiben kein wirkliches Richtig und Falsch. Aber ein guter, und damit meine ich ein authentischer Dialog, der natürlich wirkt, führt dazu, dass der Zuschauer in der Geschichte bleibt. Film ist ja immer ein vorgaukeln einer anderen Realität und szenischer Film ist ja immer ein Fake. Das schwierige ist, den Fake als echt zu verkaufen, eine Illusion aufzubauen und aufrecht zu erhalten, und da sich das Kino an allererster Stelle für die Figuren interessiert, müssen die so echt wie möglich sein. Da spielt der Dialog eine enorme Rolle. Wenn man die Story eines Ghettokindes erzählt, dann wird das nicht sagen: "Mutter, reiche mir doch bitte die Butter.", dann wird das sowas sagen wie: "ey Mum, gib mal die Butter" oder "ey, lass die Butter rüberwachsen!", natürlich immer abhängig davon, wie die Personen zueinander stehen. Sprache erzählt extrem viel über die Figuren, verortet sie in Milieus, erzählt etwas über ihren Charakter, ihre Bildung, ihre Einstellung zu anderen ect. Der Autor / die Autorin sollte sich deswegen sehr bewusst über die Figuren sein und daraus resultierend eine Sprache für sie finden, die sich am Set auch sprechen lässt.
@Auslassungen / Spannungsaufbau
Es gibt mehrere Arten von Spannung im szenischen Film - genauer gesagt 3 grundlegend verschiedene. Die Spannung - ich will wissen wie es weitergeht, die daher kommt, dass der Zuschauer genau soviel weiß, wie der Protagonist. Die zweite Art, Suspense, der Zuschauer weiß mehr als der Protagonist und hat deswegen Angst um diesen. Und die dritte Art, das Geheimnis, der Zuschauer weiß weniger als der Protagonist, weil es ein Geheimnis gibt, was verborgen ist und was der Zuschauer gern kennen will. Es gibt dann noch ein paar Andere Formen, die dann Genrespezifisch sind - zB. beim Horrorfilm, wo dann auch ganz klar Sachen wie Angst als Spannungsbringer benutzt werden. Wie man das Ganze dann miteinander mischt und welche Form der Spannung überwiegt ist Genreabhängig. Fakt ist aber, dass jede Form der Spannung auf Unwissenheit begründet ist und auf die Neugierde etwas zu entdecken.
Bei dem "Bastian"-Drehbuch - ist mir auch bei vielen anderen Büchern aufgefallen, wird einfach vieles an Spannungspotenzial verschenkt, weil viel zu schnell, viel zu viel verraten wird. Die Entscheidung, bereits im Intro / in der ersten Szene zu erzählen, dass Bastian ein Mann im Körper einer Frau ist, ok... der Zuschauer weiß sofort bescheid. Finde ich nicht so schlimm, kann man machen. Problematisch finde ich aber zB. die erste Szene in der Familie am Frühstückstisch. Für mich ist das alles viel zu direkt, viel zu viel. Warum ist das ein Konflikt, der sofort ausbricht? Das Ganze hat doch Höhepunktpotenzial... alles spitzt sich immer mehr zu, die Familie ist überfordert, die Schule dreht durch und alles kommt auf einmal... Viel stärker und auch klarer von den Figuren her als das über den ganzen Film zu verteilen.
Der Film ist nicht Theater, das ist auch eine sehr wichtige Erkenntnis, die man erlangen muss. Das Theater lebt davon, dass man große Gesten, große Emotionen spielt. Im Film kann die Kamera aber viel präziser den Blick eines Zuschauers lenken. Man muss in der Frühstücksszene nicht den Vater ausrasten lassen. Es reicht, wenn man seine Mimik sieht, Blicke, und sofort weiß man alles. Und auch Bastian kann das deuten. Eine Stille sagt manchmal viel mehr als ein Wutausbruch und ist oft viel stärker.
Von dieser Art gibt es meiner Meinung nach im Buch noch einige andere Stellen, wo es oft Dialoge sind, wo Dinge nicht ausgesprochen werden müssten, weil man die viel stärker über das Spiel der Schauspieler erzählen könnte. Blicke, Gesten, Mimik, Schweigen.
Auch hier noch der Hinweis... ich empfinde das Buch als etwas zu Dialoglastig aus genau dem Grund, weil sich vieles über das Bild und das Spiel erzählen lässt und nicht ausgesprochen oder erklärt werden muss.
@Authentizität
Erstmal der letzte Punkt, den ich ansprechen will. Alles läuft darauf hinaus, den Zuschauer bei der Stange zu halten, ihn zu fesseln und ihm etwas als Realität zu verkaufen. Ich finde viele Szenen im Buch sind da auch einem ganz guten Weg, aber auch viele, bei denen ich an der Glaubwürdigkeit als Zuschauer zweifeln würde. Ich erinnere mich, dass hier immer wieder Argumente fallen, wie: das war aber so. Leider ist das etwas, was dem Kinozuschauer nicht gesagt werden kann und was deswegen keine Rolle spielt. Eine Szene, die der Zuschauer im Kino nicht glaubt, die führt dazu, dass man ihn verliert und das ist schlecht. Stellt man sich die Frage, warum funktionieren dann Filme, die nun überhaupt nichts Glaubwürdiges haben? Entweder weil es irgendwie etabliert wird, oder weil der Film gar keinen Anspruch auf Authentizität erhebt oder weil das Hitchcock-Phänomen "the willing suspension of disbelief" gilt.
Das alles gilt leider in diesem Film nicht, weil der einen absoluten Anspruch auf Glaubwürdigkeit erhebt, weil er den Eindruck erwecken soll, eine wahre Geschichte zu erzählen. Besonders dann beginnen für mich gewisse Szenen und Figuren nicht mehr zu funktionieren. Allen voran die Szene, wo Basti von der ganzen Schule quasi gesteinigt wird. Dann funktioniert der Klassenlehrer für mich nicht, der Rektor ist grenzwertig. Auch wenn es solche Fälle im echten Leben gegeben haben mag, es ist im Film nicht glaubwürdig, zumindest solange nicht, bis es irgendwie vorher etabliert wurde, was für eine Gesellschaft das ist. Da kann man über eine Zeit Mitte des 20.JH nachdenken oder eine extrem konservative Landbevölkerung, aber es muss irgendwie klar werden, woher diese Reaktionen kommen.
Zum guten Schluss noch ein paar Worte zum Ende des Filmes... Ich würde mir sehr sehr gut überlegen, ob man Heike dieses belehrende Pamphlet verlesen lassen sollte. Sowas kommt in aller Regel beim Zuschauer sehr schlecht an, nicht zuletzt, weil Belehrendes - wenn man es schon in einen szenischen Film reinschreibt - möglichst subtil stattfinden sollte. Der Zuschauer hat ja begriffen, was da abläuft und bildet sich eine klare Meinung. Warum dann einen Wikipediaeintrag als Schlusswort verlesen lassen?
Soweit von mir. Ich könnte wie immer viel mehr in Details gehen, aber das will ich erstmal so stehen lassen - nicht zuletzt weil der Beitrag lang genug ist :-)