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Tanko

Der Basileus unter den Epigonen

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Donnerstag, 17. November 2016, 04:12

Fimphilosophie

Zu den theoretischen Hintergründen um Filme gibt es hier im Forum viel, wenn es um technische Punkte geht: sei es Kamera, Licht, Ton, Schnitt und Farbkorrektur, oder auch Drehbuch, Organisation usw. In diesem Thread geht es noch einen Schritt weiter in die Theorie.
Ich als Psychologie- und Philosophiestudent beschäftige mich viel mit wissenschaftlichen Aspekten rund um Wahrnehmung, Kognition und Emotion, auch in Bezug auf Kunst. Zurzeit besuche ich ein Seminar mit dem Titel „Philosophie des Films“ und wollte euch ausgewählte Sachen daraus näherbringen, um etwas zurückzugeben und den einen oder anderen zum Nachdenken anzuregen :) Ihr seid alle herzlich eingeladen, um was Allgemeines (z.B. Überblicksartikel) oder Spezielles (z.B. Essay zu einem philosophischen Motiv in einem spezifischen Film) zur Filmphilosophie beizutragen.


Filmphilosophie – Der Versuch einer Definition

Neben der Filmgeschichte, die die historischen Aspekte behandelt, und der Filmanalyse, die sich mit den technischen Facetten beschäftigt, gibt es noch eine dritte Unterart der Filmwissenschaften: die Filmtheorie. Im modernen Sinne ist sie immer als Filmphilosophie zu betrachten, da sie an jeden Film Fragen a) der Ästhetik, b) der Epistemologie und c) der Metaphysik stellen kann. Diese drei Grunddisziplinen der Philosophie behandeln a) die Vermittlung von der Wahrnehmung und dem Empfinden, b) inwiefern Erkenntnis, Wissen und Überzeugungen möglich sind und c) was wir über das Erfahrbare hinaus denken können.
Dabei können drei wesentliche Gebiete der Filmphilosophie identifiziert werden:

1) Begriff des Films – Film als Kunst im Verhältnis zu anderen Künsten
Beispiel: Welche Aspekte der Filmproduktion gelten als Kunst und warum? Wie hat Film den Kunstbegriff verändert?

2) Emanzipationspotentiale des Films – Film als kulturindustrielles Produkt
Beispiel: Inwiefern wird dadurch, dass der Zuschauer zum Konsumenten eines Massenprodukts wird, Manipulation bei kontroversen Themen (z.B. die der Politik) möglich?

3) Kritikfähigkeit des Films – Film als Medium
Beispiel: Wie kann Film uns den Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Illusion, zwischen Realität und Fiktion, aufweichen? Wie kann Film ethische Überlegungen ausprobieren?

Filmphilosophie besteht also daraus, was man über Filme denken kann und wie Filme aufs Denken wirken.
Die Anreihung von Bilder lässt den Film als Agent auftreten, da er gewisser Weise handelt bzw. agiert. Darüber hinaus verfügt Film ein Wissen über diese Bilder, welches er so artikulieren kann, dass auf Affekte abgezielt wird. Film besitzt aber auch ein Außen, das aus dem besteht, was neben dem audiovisuell Vermittelten besteht. Die Tatsache, dass Film in den jetzigen Moment etwas bereits Geschehenes projizieren kann, ist faszinierend. Film ist insofern eine Aufhebung, schließlich lässt er diese zeitliche Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart verwische.

Damit ist eine kleine Skizze der Filmphilosophie entworfen, die zeigt, wie Film immer Objekt, aber auch als Subjekt herantreten kann. Hoffentlich finde ich Zeit und Muße einige Essays zu kürzen und umzuschreiben, sodass diese dann hier



Quelle, an der ich mich orientiert habe:
Engell, L., Fahle, O., Hediger, V, & Voss, C. (2015). Essays zur Film-Philosophie. (Film Denken). Paderborn: Wilhelm Fink.

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Selon Fischer

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Donnerstag, 17. November 2016, 08:30

Schöne Idee! Es ehrt dich, akademisches Wissen aufzubereiten und zu teilen. Ich würde ich aber vor allem um zwei Sachen bitten:
1) Gerade weil wir hier fast alle reine Filmpraktiker sind, musst du uns die Anknüpfungspunkte und deren Relevanz. Ich selber bin ein großer Verfechter theoriegeleiteter Diskussionen, aber die Frage, die du dir stellen solltest, wäre: Was kann ein Überblick über die Theorien leisten, wenn es kein (wahrnehmbares) Problem in der Praxis gibt? Wo liegen unsere praktischen Probleme? Ist es überhaupt sinnvoll, sich mit ihnen theoretisch auseinanderzusetzen, wenn der Wissenstransfer am Ende doch wieder in praktischen Handlungen mündet?
2) Bitte beachte, das die wenigsten hier philosophisch/kognitionspsychologisch vorgebildet sind. "Epistemologie" und "Metaphysik" sind für Laien kaum greifbar. Wie wäre es mal mit einer schönen Arbeitsdefinition von "Ästhetik"? :)

Tanko

Der Basileus unter den Epigonen

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Donnerstag, 17. November 2016, 14:55

1) Die Filmwissenschaften knüpfen dort an, wo man sich fragt, warum man etwas im Film jetzt auf diese Weise umsetzt. Die Filmphilosophie geht dabei weniger auf Kultur und Technik ein, sondern auf den Sinn. Die künstlerische Intention der Filmschaffenden zu ergründen und den Interpretationsspielraum eines Films zu zeigen sind ihre hauptsächlichen Aufgaben. Ein Überblick über die Theorien kann so einen Weg zum visionären, kreativen Gestalten ebnen. Heutzutage strotzt das Kino gerade so vor neu aufgewärmten Drehbüchern mit altbekannten ästhetischen Methoden, welche nur neu verpackt scheinen. Die Technik entwickelt sich zwar weiter (z.B. 3D, >30FPS, 4K) und auch angesichts der kulturellen Entwicklung (z.B. Globalisierung, Virtualisierung) lassen sich neue Ideen festmachen, doch wie diese sinnvoll eingesetzt werden und wie die Entstehung einer Interpretation aktuell zustande kommt, und wo Lücken und somit neue Gestaltungsmöglichkeiten für ein neues Kino offen werden, das kann die Filmphilosophie beantworten. Ein Amateurfilmer kann sich beispielsweise die Frage stellen, wie er eine dystopische Atmosphäre erzeugen kann. Dazu braucht er natürlich ein entsprechendes Bild und einen adäquaten Ton. Er könnte sich an frühere dystopische Filme orientieren und gut kopieren. Dann wäre er aber nicht wirklich kreativ, sondern nachahmend. Stattdessen nimmt er dies lediglich als Basis, als Grundwissen und überlegt sich, welche philosophischen Konflikte er zu zeigen versucht. Zu a) Ästhetik: Will er eine hässliche Welt zeigen wie in Mad Max oder Heavy Metal? Oder eine saubere, schöne Welt wie in Demolition Man oder Brave New World. Oder gar beides wie in Matrix? Zu b) Epistemologie: Will er den Zuschauer unbewusst die Erkenntnis aufdrücken? Will er ihn selber zur Erkenntnis verhelfen? Oder will er, dass gar keine Erkenntnis gibt? Kann er ihn sogar täuschen? Kann er auch alles parallel oder nacheinander machen? Welchen Zweck erfüllt das? Weiß man in seiner Dystopie zu wenig oder zu viel? Wird man manipuliert oder nicht? Zu c) Metaphysik: Welche ist die beherrschende Kraft in der Dystopie? Die Natur, die Vernunft, die Macht oder etwas Außerirdisches? Im welchen Verhältnis stellt der Künstler die Triebe zur Vernunft? Gibt es ein Ziel, ist alles aufeinander abgestimmt, also hat wer einen Plan? Oder ist alles ein chaotischer Zufall?

Die Antworten zu all diesen Fragen sollten idealerweise nicht zufällig erfolgen. Natürlich kann man sich von seiner Intuition leiten lassen, aber man kann auch bewusst einen großen Sinnzusammenhang herstellen, und auf diesem Wege ein harmonisches Verhältnis von Wahrnehmung und Empfindung entstehen lassen. Film kann eine audiovisuell konstruierte Wirklichkeit auf die Zuschauer selbst zurückspiegeln. Was mit den Protagonisten in der Handlung passiert, passiert mit dem Zuschauer auf anderer Ebene. Er empfindet nicht nur Empathie für die Protagonisten, sondern wird durch die Darbietung selbst zum Protagonisten, der eine ähnliche oder entgegengesetzte Dramaturgie erfahren kann, zumindest bei guten Filmen. Gerade bei nicht gut geglückten Filmen empfindet der Zuschauer dies nicht so nach. Er kann zwar mit dem Tod einer Figur mitfühlen , aber wenn der Zuschauer nicht selbst einen abstrakten Tod vollzieht, bleibt der Film auf der Stufe des Kitsches stehen. Und das ist das Hauptproblem der Amateurfilme: sie sind allzu oft zu kitschig.

2) Deswegen habe ich sie im Satz darauf kurz definiert, wollte aber keine allgemeine Philosophie-Einführung geben ;) Wikipedia kann dort bei Bedarf helfen. Gerade der Begriff Ästhetik ist höchst kontrovers. Abgeleitet vom altgriechischen aísthēsis , was so viel wie sinnliche Wahrnehmung bedeutet, war sie früher ein sehr breites Feld. Eine Zeit lang, vor allem im Mittelalter, konzentrierte sich die Ästhetik auf das Schöne. Aber auch abseits dessen kann sich die Ästhetik mit anderen Empfindungen beschäftigen, z.B. das Hässliche, das Erhabene, das Groteske oder auch das Langweilige. Heutzutage wird dabei, wie ich bereits angedeutet habe, sich nicht auf die Wahrnehmung fokussiert, denn das ist die Aufgabe der Psychologie als empirische Wissenschaft, sondern auf die Empfindungen im Sinne der wertenden Prozesses eines Subjekts, welche nicht nur reine, nüchterne Wahrnehmungen sind, aber auch keine tiefer greifende Erfahrungen.

Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von »Tanko« (17. November 2016, 15:13)


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